HORST TRIPPEL - STATEMENT

Tattoos bei Jugendlichen

Wenn ich heute so zurückschaue, welche Veränderungen mein Leben geprägt haben und wie ich über die Jahre gewachsen bin, wird mir bewusst, dass viele Dinge nun mal Zeit brauchen. So auch die Tattoos. Auch ich habe zu lange ein Leben nach dem Motto geführt: „ Irgendwer wird’s schon richten und Schuld sind immer die Anderen, aber der einzige, der in deinem Leben etwas richten wird, bist nur du selbst!“

Deshalb ist es mir auch ein großes Bedürfnis, jungen Menschen, etwas mit etwas auf den Weg zu geben. Durch meine Arbeit als Tätowierer versuche ich mit ihnen unter anderem über das Für und Wider eines Tattoos zu sprechen. Es ist sehr schwer, an die Synapsen der jungen Menschen vorzudringen, die durch TV, Facebook, Youtube, Twitter und Co. schon so weichgespült sind, dass es schwer fällt, etwas wahrzunehmen, was länger als einen Klick andauert. Höher, schneller, weiter, schöner, erfolgreicher… wer bekommt die meisten Klicks, wer hat mehr Follower. Werte werden hierbei kaum vermittelt. Alles ist mit Superlativen behaftet... Superhandwerker, Superkoch, Super, Super, Super...nichts geht mehr normal und die Jugendlichen stehen vor dem Problem der Erfüllung oder gar Überschreitung dieser real erscheinenden gesellschaftlichen Ansprüche. Dann fangen sie teilweise schon mit 16 Jahren an, sich für ihr ganzes Leben zu stigmatisieren, indem sie sich großflächig tätowieren lassen, ohne nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was sie hierdurch auslösen. Natürlich nehmen sie sich die jungen Stars aus den modernen Medien zum Vorbild, die häufig mittlerweile auch stark tätowiert sind. Dass diese jedoch bereits finanziell abgesichert sind und sich nicht mehr auf die Suche nach Ausbildungsplätzen machen müssen, wird häufig nicht bedacht. Erwachsenwerden in der realen Welt wird immer schwieriger.

Sicher bekommt man erst sehr viel Aufmerksamkeit, wenn man viele Tattoos trägt. Aber diese Art von Aufmerksamkeit ist sehr oberflächlich. Es ist ähnlich, wie wenn man sich einen dicken Oberarm antrainiert, die Titten auf XXXL vergrößern lässt, man sich eine Kutte anzieht und „einen auf Rocker machst“ oder dir einen Lambo oder Ferrari kaufst, um dein Selbstwertgefühl zu steigern. Das geht definitiv schief. Nur wenige Menschen schaffen es, ein erfülltes Leben in der Extremen zu führen. Wenn die menschliche Größe ausschließlich auf Äußerlichkeiten basiert, wird es schwierig, diese Fassade in ganzes Leben aufrecht zu halten. Allerdings kann jeder alle diese Dinge ändern, sobald er bemerkt, wie oberflächlich diese Menschen sind, die solchen extremen Auftritten ihre Aufmerksamkeit schenken. Einen tätowierten Arm, Hals oder gar Gesicht ändert man aber nicht mehr! Ich bin sehr besorgt darüber, wie viele junge Menschen diesen extremen Weg einschlagen und dann noch alle Klischees erfüllen, indem sie sich als cooler Fighter, gewaltbereit oder ähnlich darstellen. Rein in die Extreme mit NULL Lebenserfahrung, dazu gibt’s dann noch die passenden Shirts mit Slogans wie cooler oder schöner man doch mit Tattoos ist. Aber viele fragen mich schon bei ihrem ersten Tattoo nach einer Creme, die den Schmerz betäubt. Sie sind nicht mal bereit zu versuchen, den möglichen Schmerz beim Tätowieren auszuhalten. Soviel zu dem Thema „cool zu sein“. Ich frage mich, wie wollen sie denn den Schmerz aushalten, den das Leben bereit hält. Man ist weder cooler, noch schöner, noch besser... mit oder ohne Tattoos. Echte Anerkennung muss man sich über Jahre erarbeiten und das wird sich auch in unserer schnelllebigen Zeit nicht ändern. Ein kluger Mensch hat mal gesagt: „Man schafft sich für viel Geld, was wir oft nicht haben, Dinge an, um dann Menschen zu beeindrucken, die uns meistens nicht mal mögen.“


Ich schaue mir heute noch leidenschaftlich gerne Tattoos an und tätowiere jeden Tag mit der gleichen Begeisterung wie zu Beginn. Aber das ist über Jahre gewachsen, deshalb mein Ratschlag: Fangt doch einfach klein an mit den Tattoos und wenn ihr euren Weg gefunden habt, könnt ihr euch immer noch zumalen lassen oder auch nicht. Viele Menschen haben auch in meinem Alter noch keinen eignen Weg gefunden oder eine Geschichte zu erzählen, dann bringen auch Tattoos keine Farbe ins Leben. Man wandelt dann auch nur als bunter Zombie, ohne eigene Meinung durchs Leben und das wollen wir ja nicht :-)

Euer Horst